Für die indirekten Schäden der Pandemie gibt es noch wenig Studienevidenz. Die Schäden durch die Pandemie und die ergriffenen Gegenmaßnahmen müssen jedenfalls ebenso bedacht werden, und nicht nur die COVID-Todesfallrate. Die Umwidmung von Ressourcen im Gesundheitswesen und die Bereithaltung von Krankenhaus- und Intensivbetten für eventuelle COVID-Patienten, die dann gar nicht gebraucht wurden, hat wahrscheinlich zu Versorgungsengpässen und -lücken im übrigen Gesundheitsbereich geführt, vielleicht aber auch zu einem Abbau von Überversorgung. Die Behandlung von Patienten mit akutem Herzinfarkt ist um bis zu 40% gesunken [35,36] und die Behandlung erfolgte verzögert, was zu längeren Ischämiezeiten bei Koronarpatienten führte [37]. Noch ist unklar, welche Auswirkungen die Reduktion der stationären Versorgung auf Morbidität und Mortalität der Bevölkerung haben wird. Hier sind umfangreiche Studien erforderlich, die erst im weiteren Verlauf Nutzen und Schaden aufklären können.
Erste Studienergebnisse weisen auf erhebliche psychische Belastungen und Bildungsverluste von Kindern durch die Schulschließung hin, die Ergebnisse liegen aber noch nicht in mit Peer-Review publizierter Fassung vor [38]. Welche psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen insgesamt die soziale Isolierung während des Lockdowns hatte und noch haben wird, wird sich erst durch weitere Forschung in den kommenden Monaten und Jahren erfassen lassen.
In Österreich stieg die Zahl der Arbeitslosen zur Zeit des Lockdown binnen eines Monats auf über 500.000 (Quote 12,2%) und erreichte damit den höchsten Stand seit 1946 [39], in Deutschland fiel der Anstieg bisher moderater aus (von 5,1% im März auf 6,3% im Juli) [40]. Arbeitslose weisen insgesamt eine höhere Mortalität, eine höhere Morbidität, eine höhere Suizidrate und eine schlechtere Lebensqualität auf [41].
Derzeit ist es noch nicht möglich, endgültig abzuschätzen, ob durch unbeeinflusste rasche Ausbreitung des Virus oder durch ein Hinauszögern der Ausbreitung und eine dadurch bedingte Verlängerung des gesamten Pandemiezeitraums der größere Schaden angerichtet wird, der dann auch wieder indirekte Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität und Lebenserwartung haben kann. Eine erste gesundheitsökonomische Modellierung aus Großbritannien beziffert die Kosten für ein durch den Lockdown gerettetes Lebensjahr (QALY) mit 220.000 bis 3,7 Mio Pfund [42]. Im englischen Gesundheitssystem wird als maximaler für die Solidargemeinschaft sinnvoller und zumutbarer Wert 30.000 Pfund pro QALY angenommen [42]. Die Diskussion um den vertretbaren Preis eines Lebensjahres ist ethisch problematisch. Im Falle des Lockdowns ist aber jedenfalls – wie oben dargestellt – mit erheblichen gesundheitlichen und möglicherweise auch lebensverkürzenden Auswirkungen zu rechnen. Andererseits ist es durchaus auch möglich, dass die Reduktion von beispielsweise elektiven chirurgischen Eingriffen zu einem Abbau von unnötigen Eingriffen und Überversorgung geführt haben. Auch dies sollte in entsprechenden Studien sorgsam aufgearbeitet werden.