Wie gefährlich ist die Erkrankung COVID-19?

Anfangs kam es in vielen Ländern, so auch in Deutschland und Österreich zu einer Verdoppelung der diagnostizierten Fälle ca. alle 2 bis 2 ½ Tage [1] und Hochrechnungen prognostizierten, dass die Kapazitäten der Krankenhäuser für die Versorgung der Erkrankten spätestens Anfang April erschöpft sein würden [2]. Diese und andere internationale Prognosen haben sich nicht bestätigt [3].

Der Zenit der Pandemie wurde nach einem anfänglich exponentiellen Anstieg der laborbestätigten Fälle in Deutschland bereits am 16.3.2020 mit 5.481 Testpositiven pro Tag [4], in der Schweiz am 23.3.2020 mit 1.463 Testpositiven pro Tag [5] und in Österreich am 26.3.2020 mit 1.065 Testpositiven pro Tag [6] überschritten. Zuvor waren erste Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung, vor allem ein Verbot von Großveranstaltungen, ausgesprochen worden (Deutschland 13.3., Österreich 10.3., Schweiz 28.2.). Zumindest in Deutschland gingen die Zahlen also bereits zurück, bevor am 23.3.2020 die von der Bundesregierung beschlossenen umfassenden Maßnahmen zum Social Distancing (Schulschließungen, Geschäftsschließungen) überhaupt greifen konnten. Laut epidemiologischem Bulletin 17/20 des RKI sank auch die Reproduktionszahl R von etwa 3 Anfang März auf einen stabilen Wert von 1 ab dem 22. März und stabilisierte sich danach bei 1. Das RKI schreibt diese Stabilisierung den am 23.3. ergriffenen Maßnahmen (d.h. einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit) zu [7]. Der Rückgang von R bereits vor dem „Lockdown“, der freilich am 23.3. noch nicht bekannt war, da R nur retrospektiv berechnet werden kann, wird auf das Verbot von Großveranstaltungen und Verhaltensänderungen der Bevölkerung zurückgeführt [7].

Im Gegensatz zu Regionen in einigen anderen Ländern (Italien, Frankreich) kam es weder in Deutschland noch in Österreich oder der Schweiz jemals zu einer Überlastung des Gesundheitssystems, wobei in der Schweiz die Kapazitätsgrenzen fast erreicht wurden (höchste Auslastung der Intensivstationen am 10.4. mit 98%, davon 56% Patienten mit COVID-19 [8]). In Österreich hingegen betrug die maximale Auslastung der stationären Kapazität etwa 5% und der Intensivkapazität etwa 26%, jeweils Anfang April [6]. Laut Tagesreport-Archiv der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin betrug die maximale Auslastung der Intensivbetten in Deutschland 2.922 Intensivfälle bei einer Gesamtkapazität von 30.077 Plätzen am 22.4.2020 (Auslastung 9,7%). Aktuell (Stand 31.8.2020) sind in Österreich 31 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, in Deutschland 246.

Nach einem Minimum von ca. 500 neuen Testpositiven pro Tag in Deutschland [4] und ca. 40 in Österreich [6] von Mitte Mai bis Mitte Juni, kommt es in den letzten Wochen zu einem leichten Wiederanstieg der Testpositiven, der allerdings nicht von einer relevanten Zunahme von hospitalisierten oder intensivpflichtigen Patienten oder Todesfällen begleitet ist (in Deutschland seit vielen Wochen <400 Hospitalisierte [9], in Österreich 123 Hospitalisierte [6] [Stand 31.08.2020]). Eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems ist auch jetzt nicht zu fürchten.

Inzwischen gibt es relativ zuverlässige Zahlen zur Letalität von COVID-19. Die ersten Schätzungen im Frühjahr 2020, die auf der simplen Division der Anzahl der Todesfälle durch die nachgewiesenen Erkrankungen beruhten und eine Case Fatality Rate von teilweise über 10% prognostizierten, haben sich mittlerweile als falsch erwiesen. Inzwischen spricht man eher von der Infection Fatality Rate (IFR), die auch leichtere und asymptomatische Verläufe berücksichtigt. Diese liegt in den vergangenen vier Wochen in Deutschland zwischen 0,1% und 0,4% [9] und lässt sich in Österreich aus den Zahlen des Österreichischen amtlichen Dashboards zwischen 0,1 und 0,6% errechnen [6]. Hierbei wird allerdings weder die Dunkelziffer nicht erkannter Infizierter (weil nicht gemessen oder falsch negativ getestet) noch eine mögliche Falsch-Positiv-Rate berücksichtigt. Insgesamt entspricht die Größenordnung den Ergebnissen vorliegender Studien wie von Ioannidis oder Streeck [10,11], welche die Infection Fatality Rate mit 0,27% bzw. 0,36% angeben. Beide Studien wurden bisher aber nur als Preprint ohne formales Peer-Review veröffentlicht und die Ergebnisse sollten durch weitere Studien abgesichert werden. Eine im Juli publizierte Metaanalyse aller weltweit verfügbaren Daten (24 Studien) zur IFR beziffert diese auf 0,68% (95% KI 0,53-0,82) [12]. Es bestehen jedoch große Unterschiede zwischen Studien, Ländern und untersuchten Populationen (Studienheterogenität I² >99%). Die Ergebnisse sind also mit großer Vorsicht zu interpretieren. Es kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden, dass die IFR weit unter den ursprünglichen Befürchtungen liegt, die eine IFR in ähnlicher Höhe wie die anfangs gemessene CFR annahmen.

Mit großer Zuverlässigkeit kann bereits gesagt werden, dass die Todesfälle in erster Linie ältere und vor allem hochbetagte Menschen betreffen. In Deutschland gab es nur 3 Todesfälle unter dem 20. Lebensjahr. Der Altersmedian der COVID-Verstorbenen liegt bei 82 Jahren und 85% der Verstorbenen waren 70 Jahre oder älter [9]. Kinder scheinen insgesamt weniger empfänglich für eine SARS-CoV-2-Infektion zu sein. In Deutschland waren nur 3,4% der positiv Getesteten unter 10 Jahre alt, und nur 6,4% zwischen 10 und 19 Jahren [9]. Möglicherweise werden Kinder aber auch seltener getestet. Daher sind diese Zahlen des RKI mit Vorsicht zu interpretieren, da sie nicht einer repräsentativen Stichprobentestung entstammen, sondern lediglich die unsystematisch durchgeführten Massentestungen widerspiegeln.

Neben dem Alter stellen auch Begleiterkrankungen wesentliche Risikofaktoren dar. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse zeigten sich kardiovaskuläre Vorerkrankungen, Hypertonie, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, chronische Niereninsuffizienz und Krebs als unabhängige Risikofaktoren für die COVID-19-Letalität [13].