Bei einer derzeit vorliegenden niedrigen Prävalenz der Infizierten bzw. positiv Getesteten (in Deutschland ca. 0,025%, in Österreich ca. 0,03%, in der Schweiz ca. 0,04% der Bevölkerung – die wahrscheinlich niedrige Dunkelziffer nicht berücksichtigt) werden in allen drei Ländern Massentestungen auf SARS-CoV-2 durchgeführt, in Deutschland zuletzt fast 900.000 Tests pro Woche (33. KW 875.524), in Österreich 63.000 und in der Schweiz 73.000. Die Test-positiven-Rate liegt in Deutschland unter 1%, in Österreich bei etwa 2%, in der Schweiz bei etwa 3% [6,25,26].
Die Nationale Teststrategie in Deutschland sieht vor, dass sowohl symptomatische als auch asymptomatische Personen getestet werden. Als „symptomatisch“ gelten „Personen mit jeglichen akuten respiratorischen bzw. COVID-19 typischen Symptomen, inklusive jeder „ärztlich begründete Verdachtsfall“ [27]. Eine derartig weite Indikationsstellung führt zu einer wahllosen Überdiagnostik, da pro Woche bis zu 2,8% der Bevölkerung wegen eines respiratorischen Infekts einen Haus- oder Kinderarzt aufsuchen [28]. Darüber hinaus sollen asymptomatische Personen getestet werden, darunter auch Einreisende aus Nicht-Risikogebieten und nach Aufenthalt in Regionen mit einer Inzidenz >50/100.000 in 7 Tagen. Abgesehen davon, dass die derzeitigen Testkapazitäten für diese umfangreichen Messungen nicht ausreichend sind, gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis oder nur Hinweis, dass diese Teststrategie zu einer Verminderung von Hospitalisierungen oder Todesfällen durch COVID-19 führt.
Wie bei allen Massentestungen ist zu hinterfragen, welche Aussagekraft die Testergebnisse haben und welcher Nutzen für die Getesteten oder auch die Bevölkerung als Ganzes durch diese Tests zu erwarten ist. Betrachten wir zunächst die Aussagekraft.
Im deutschen Ringversuch fand sich bei 983 Messungen aus 463 Laboratorien eine Spezifität von 98,6% (Konfidenzintervall 0,976-0,992) für die korrekte Erkennung der Negativprobe [29]. Die Spezifität sinkt auf 92,4 % (95% KI 90,5-93,9), wenn die Negativprobe mit HCoV 229 E infiziert ist, einem der humanen Coronaviren, die eine gewöhnliche Erkältung auslösen können. Bisher gibt es keine publizierten und wirklich verwertbaren diagnostischen Genauigkeitsstudien zum SARS-CoV-2 PCR-Test. Eine soeben publizierte kleine chinesische Studie fand zwar eine Spezifität von 100%, das Ergebnis ist allerdings bei nur sechs Messungen nicht verwertbar, da das 95% Konfidenzintervall von 0,61-1,00 reicht [30]. Das gleiche gilt für eine niederländische Studie, die ebenfalls nur sechs Negativproben mit sieben unterschiedlichen PCR-Kits testete [31].
Derzeit kann man von einer mit PCR-Tests nachweisbaren SARS-CoV-2-Prävalenz von 0,025% ausgehen. Diese Zahl ergibt sich aus der täglichen Zahl der Neuinfektionen (ca. 1.000), der deutschen Bevölkerungsgröße (ca. 80 Mio.) und dem Faktor 20, weil eine Infektion im Median 20 Tage lang mit PCR-Tests nachweisbar ist. Bei einer solch niedrigen Prävalenz von 0,025% führt auch ein Test mit einer 99,9%igen Spezifität zu deutlich mehr falsch-positiven als richtig-positiven Befunden. Erst wenn die Spezifität 99,99% beträgt, könnte ein ungezieltes Testen halbwegs verwertbare Ergebnisse erzielen. Besser aber wäre ein Testen nur bei begründetem Verdacht: Denn bei einer Prävalenz von 0,15% (dies entspricht der RKI-Definition eines Risikogebiets) sind falsch-positive Ergebnisse in der Minderheit, egal ob die Spezifität 99,9% oder 99,99% beträgt. Ein großes Problem derzeit ist aber, dass die Testgenauigkeit der verschiedenen PCR-Tests so genau noch nicht ermittelt wurde. Die vorliegenden Daten beziehen sich auf die Testgüte im Laborversuch, nicht an echten Proben. Hier wären also dringend pragmatische diagnostische Genauigkeitsstudien im Setting der derzeitigen Teststrategie von Nöten, um Klarheit über die Aussagekraft des Testens zu bekommen.
Bei der Betrachtung des Nutzens der derzeitigen Teststrategie ist festzustellen, dass es keine wissenschaftliche Evidenz für einen Nutzen gibt und dass offenbar auch nicht daran geforscht wird, diesen Nutzen zu evaluieren. Zumindest sollte dokumentiert und differenziert werden, aus welchen Gründen die Tests durchgeführt werden und zu welchen Konsequenzen die Testergebnisse führen. Diese Zahlen müssen öffentlich zugängig gemacht werden.
Die derzeitige Teststrategie und Informationspolitik erweckt eher den Anschein, dass die positiven Testergebnisse ohne Bezug zur Menge der durchgeführten Tests und ohne Bezug zur Bevölkerung benutzt werden, um die derzeitige Strategie zur Eindämmung der COVID-Pandemie zu rechtfertigen. Die derzeit propagierte Nationale Teststrategie ist teuer und mit hoher Wahrscheinlichkeit nutzlos, alleine schon, weil es aufgrund der nicht ausreichend hohen Sensitivität, der hohen Rate asymptomatisch Infizierter und der unbekannten Dunkelziffer von Virusträgern nicht gelingen kann, SARS-CoV-2 aus der deutschen, österreichischen oder Schweizer Bevölkerung zu eliminieren. Richtig wäre es, die Testungen auf Personen mit hohem Risiko für das Vorliegen einer Infektion zu fokussieren, um die Vortestwahrscheinlichkeit und damit die Aussagekraft des Testergebnisses zu erhöhen.