Falsch-positive Testergebnisse seien bei der RT-PCR so gut wie ausgeschlossen. Daher sind kritische Überlegungen zur Aussagekraft von positiven Testergebnissen im Massenscreening rein theoretischer Natur und nicht angemessen.
Die Überlegungen in der Stellungnahme zur Aussagekraft von positiven Testergebnissen im Szenario des anlasslosen Testens im Niedrigprävalenzbereich waren in der Tat theoretischer Natur – da es uns nicht gelungen ist, valide Daten zur Testgenauigkeit der PCR im alltäglichen Setting aufzufinden.
Ein systematischer Review1 zur Genauigkeit von diagnostischen Tests zur Erkennung einer SARS-COV-2 Infektion vom 10.07.2020 findet neun Studien, die Testcharakteristika von RT-PCR Verfahren berichten. Zwei Studien gingen nicht in weiterführende Analysen ein, da sie keine Daten aus einer klinischen Anwendung berichteten. Die Ergebnisse der übrigen sieben Studien wurden in Meta-Analysen zur Sensitivität der Tests in unterschiedlichen Probenmaterialien zusammengeführt. Hinsichtlich der Spezifität stellen die Autoren fest, dass aufgrund der Tatsache, dass in den Studien keine Kontrollgruppen mitgeführt wurden, Analysen zur Spezifität nicht möglich waren. Sie verweisen auf die Ergebnisse zwei kleinerer chinesischer Studien mit Kontrollgruppe, die zu teils widersprüchliche Spezifitätsergebnisse zwischen 90% und 100% aus unterschiedlichen Probenmaterialien berichten.
Ein weiterer systematischer, am 01.10.2020 im British Medical Journal publizierter Rapid Review2 zur Wirksamkeit von Tests (Virustests, Antikörpertests) im Rahmen der COVID-19 Diagnostik schließt 16 Studien zur RT-PCR ein und kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Spezifität nicht valide abschätzbar ist, da alle Studien ausschließlich Ergebnisse von anschließend bestätigten COVID-19 Fällen berichten. Studien zum Massenscreening waren explizit ausgeschlossen.
Die einzige - uns bekannte - Auswertung einer größeren Stichprobe von überwiegend anlasslosen Tests wurde von einer Autorengruppe aus der Herstellerfirma einer SARS-CoV-2 Testplattform publiziert3. Über die Testplattform wird die gesamte Testprozedur von der Registrierung des Nutzers, der Probenentnahme, -verarbeitung und RT-PCR Analyse bis hin zur Ergebnismitteilung koordiniert. Die Autoren fanden in einer Stichprobe von 9618 Personen aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich insgesamt 17545 Tests über die Plattform unterzogen hatten, insgesamt 5 positiv getestete Personen, von denen drei keinerlei Symptome oder Kontakte berichteten. Die positiven Ergebnisse wurden laut Autoren von einem externen Labor bestätigt (ohne weitere Angaben), sie schließen daher auf eine Spezifität von 100% für ihr Test-System.
Wenn man alle diese Daten zusammen betrachtet, gibt es nur wenige aussagekräftige Untersuchungen zur Spezifität der RT-PCR.
Aber auch unter der Annahme, dass die Spezifität sehr hoch liegt, z.B. weit über 99%, halten wir Überlegungen zu den Konsequenzen anlasslosen Testens für weiterhin erforderlich – und sind der Meinung, dass man sich diesen beispielhaft – auch mit Annahmen wie in unserer Stellungnahme geschehen – nähern darf. Auch das RKI weist auf die Problematik hin, dass „bei niedriger Prävalenz und niederschwelliger Testindikation […] an die Spezifität der Teste […] hohe Anforderungen gestellt“ werden4.
Vor diesem Hintergrund wünscht das EbM-Netzwerk diagnostische Studien, mit denen sich die Genauigkeit für verschiedene Testszenarien verlässlich abschätzen lässt - insbesondere für Tests, die nicht aufgrund von Symptomen oder Kontakten mit Infizierten durchgeführt werden (höhere Vortest-Wahrscheinlichkeit), sondern auf freiwilliger Basis angeboten werden (niedrigere Vortest-Wahrscheinlichkeit). Diese müssen insbesondere eine valide Verifikation positiver Testergebnisse umfassen – ein Element, was angesichts des Status der RT-PCR als Goldstandardverfahren in den in die beiden systematischen Reviews eingeschlossenen Studien zumeist unterblieben ist.
Eine andere Konnotation bekommt die Problematik der falsch-positiven Tests, wenn nicht „Infektion“, sondern „Infektiosität“ als diagnostisches Ziel betrachtet wird. Ein Ende August in der New York Times veröffentlichter Artikel5 mutmaßt, dass (in den USA) bis zu 90% der als positiv gewerteten Testergebnisse nicht als positiv gelten sollten, da die nachgewiesene Virusmenge zu gering für eine Infektiosität der getesteten Personen war. Mit dem PCR-Test wird virales Genmaterial nachgewiesen, welches zuvor in Amplifikationszyklen vermehrt werden muss. Je weniger Genmaterial vorhanden ist, desto mehr Amplifikationszyklen werden für den Nachweis gebraucht (cycle threshold, ct-Wert). Nach Ansicht der amerikanischen Virologin sind ct-Werte über 35 zu sensitiv, d.h. sie werden bei Personen gefunden, die nicht (mehr) infektiös sind.
Das Problem scheint auch für Deutschland relevant zu sein, wie Recherchen von Markus Grill und Kristiana Ludwig6 ergaben. Auch hier werden Testergebnisse mit hohen ct-Werten (z. B. 40) als positiv herausgegeben und zusätzlich werden die zu den Ergebnissen gehörigen ct-Werte nicht flächendeckend von den Laboren an die Gesundheitsämter kommuniziert – mit der Folge, dass Anordnungen zur Selbstisolation an Personen ergehen, von denen keine Ansteckungsgefahr ausgeht.
Unseres Erachtens ist die systematische Aufarbeitung vorhandener Evidenz und sehr wahrscheinlich weitere Forschung nötig, um die Frage zu klären, ab welcher Viruslast tatsächlich von Infektiosität auszugehen ist und wie sich die in den Laboren ermittelten Werte für die cycle threshold (ct-Wert) standardisieren lassen. Bei den Maßnahmen der Gesundheitsämter auf der Basis der Labordaten sollten diese Werte dann routinemäßig berücksichtigt werden, um die Ansteckungsgefahr realistisch abzuschätzen und unnötige Quarantänen oder Isolation zu vermeiden.
Referenzen:
Dr. med. Dagmar Lühmann Stellvertretende Vorsitzende des EbM-Netzwerks |
Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen Vorsitzender des EbM-Netzwerks |
Erwiderung zum Kritikpunkt "Falsch-positive Testergebnisse" als PDF