Infektionssterblichkeit

 

Es wird kritisiert, dass das EbM-Netzwerk mit der Infektionssterblichkeit (IFR) argumentiere, wie sie sich in den letzten vier Wochen vor Verfassung der Stellungnahme darstellte.

 

In unserer Stellungnahme ging es um die Darstellung der Größenordnung. Hierzu beschreiben wir das Verhältnis von Todesfällen zu Infizierten und stellen fest, dass diese Zahl im August im Gegensatz zum April sehr niedrig ist. Wir weisen auch in unserer Stellungnahme bereits darauf hin, dass diese Daten nicht für eine exakte Bestimmung der Infektionssterblichkeit (IFR) geeignet sind.

Bei Beginn der Pandemie wurden überwiegend symptomatische und erkrankte Personen auf SARS-CoV-2 getestet. Ein hoher Anteil der Infizierten und Verstorbenen waren Bewohner*innen von Alten- und Pflegeheimen. Das Verhältnis von Todesfällen mit positivem Testergebnis auf SARS-CoV-2 zur Gesamtzahl der positiv getesteten Personen erreichte in Deutschland Mitte April einen Höchstwert von fast 7%1.

Während der Sommermonate wurden in Reihenuntersuchungen, z.B. bei Reiserückkehr, zunehmend asymptomatische Personen getestet, und es gab insgesamt mehr Testungen. Bei Personen mit einem positiven Testergebnis auf SARS-CoV-2 stieg der Anteil asymptomatischer oder wenig symptomatischer Personen von 3% Ende März auf fast 35% Mitte August. Zudem infizierten sich im Vergleich zu Beginn der Pandemie relativ mehr junge als alte Menschen. Junge Menschen mit einem positiven Test auf SARS-CoV-2 haben ein deutlich niedrigeres Sterberisiko als ältere Menschen.2 Das bedeutet, dass die Infektionssterblichkeit rechnerisch abnimmt. Ende August erreichte die Sterberate gemäß den Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) einen Tiefstwert von 0,16% 3.

 

Es wird außerdem kritisiert, dass das EbM-Netzwerk selektiv Daten zur Infektionssterblichkeit (IFR) nutze und einzelne wichtige Studien außer Acht lasse.

 

In unserer Stellungnahme zitieren wir keine Einzelstudien, sondern eine systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse von 24 Studien, die zu einer IFR 0,68% (95%-Konfidenzintervall 0,53% bis 0,82%) bei sehr hoher Heterogenität kommt. Wir betonen, dass die Metaanalyse nur als preprint (noch nicht begutachtet) vorliegt, die Ergebnisse daher vorläufig sind.4

Inzwischen ist eine neue Metaanalyse, ebenfalls als preprint, veröffentlicht worden, die einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der großen Spannbreite von IFR aus verschiedenen Ländern und Regionen leisten könnte.5 Die Metaanalyse beschränkt sich auf ausgewählte Studien aus OECD Ländern. Die Ergebnisse weisen auf eine starke Abhängigkeit der IFR vom Alter der untersuchten Gruppen. So fände sich bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine IFR nahe Null, bei 55-Jährigen eine IFR von 0,4%, bei 65-Jährigen von 1,3%, bei 75-Jährigen von 4,2% und bei einem Alter von 85 Jahren eine IFR von 14%. Die Autoren betonen, dass die Altersstruktur der untersuchten Populationen fast 90% der geografischen Varianz der IFR erklären könne.

 
Vergleiche mit anderen Krankheiten sind notwendig

Die Bewertung altersabhängiger IFR für SARS-CoV-2 erfordert die Analyse und Einordnung der Mortalitätsdaten im Kontext anderer Erkrankungen und Todesursachen. Ein direkter Vergleich mit Influenza ist schwer möglich, da es keine einheitliche Systematik zur diagnostischen Erfassung, Berichterstattung und Auswertung für die beiden Infektionskrankheiten gibt. Dies gilt insbesondere auch für die Bestimmung der Todesursachen.

In unserer Stellungnahme haben wir auf die Krankheitslast durch ambulant erworbene Pneumonien (z.B. Influenza, Pneumokokken, andere respiratorische Viren) verwiesen. Ein Vergleich mit COVID-19 Pneumonien wäre möglich, wenn sowohl für ambulant erworbene Pneumonien als auch für COVID-19 Pneumonien, aufgeschlüsselt für die unterschiedlichen Altersgruppen, Daten zur Rate an Testpositiven, Erkrankungshäufigkeit, Hospitalisierungsrate, Anzahl der Behandlungen auf Intensivstation sowie Sterberaten verfügbar wären. Auch die Gesamtsterblichkeit der Altersgruppen sollte mit genannt werden.

In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 660.000 Menschen an einer ambulant erworbenen Pneumonie (ca. 800/100.000 Einwohner), ca. 300.000 von diesen werden stationär behandelt, 40.000 versterben an der Erkrankung (39/100.000 Einwohner). Die Letalität der ambulant erworbenen Pneumonien wird auf etwa 6% geschätzt; für hospitalisierte Patienten beträgt sie 14% mit einer starken Altersabhängigkeit (etwa 5% für <65-Jährige, 17% der ≥65-Jährigen). Ähnliche Daten werden für die Schweiz berichtet.7

Auf die Notwendigkeit Mortalitätsdaten in den Kontext zu stellen, hat das EbM Netzwerk schon in früheren Veröffentlichungen hingewiesen.8, 9

 

Referenzen

  1. RKI. Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 06.10.2020. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-06-de.pdf?__blob=publicationFile
  2. Levin AT, Hanage WP, Owusu-Boaitey N, Cochran KB, Walsh SP, Meyerowitz-Katz G. Assessing the age specificity of infection fatality rates for COVID-19: Systematic review, mete-analysis, and public policy implications. medRxiv 2020.07.23.20160895; doi: https://doi.org/10.1101/2020.07.23.20160895
  3. RKI. Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 06.10.2020. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-06-de.pdf?__blob=publicationFile
  4. Meyerowitz-Katz G, Merone L. A systematic review and meta-analysis of published research data on COVID-19 infection-fatality rates [Internet]. Epidemiology; 2020 [zitiert 2020 Aug 21]. Verfügbar unter: http://medrxiv.org/lookup/doi/10.1101/2020.05.03.20089854
  5. Levin AT, Hanage WP, Owusu-Boaitey N, Cochran KB, Walsh SP, Meyerowitz-Katz G. Assessing the age specificity of infection fatality rates for COVID-19: Systematic review, mete-analysis, and public policy implications. medRxiv 2020.07.23.20160895; doi: https://doi.org/10.1101/2020.07.23.20160895
  6. Ewig S, Bauer T, Richter K, Szenscenyi J, Heller G, Strauss R, Welte T. Prediction of in-hospital death from community-acquired pneumonia by varying CRB-age groups. Eur Respir J 2013; 41: 917-922
  7. Ott SR. Ambulant erworbene und nosokomiale Pneumonie. Swiss Medical Forum 2018; 18: 569-574. https://medicalforum.ch/article/doi/smf.2017.03296
  8. Netzwerk Evidenzbasierte Medizin. Stellungnahme: Risikokommunikation zu COVID-19 in den Medien. https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/pdf/stn-risikokommunikation-covid19-20200820.pdf
  9. Mühlhauser I. Werden ältere Menschen benachteiligt, wenn Screening-Programme altersbegrenzt sind? Wie der Nutzen von Krebsfrüherkennung von Alter und Gesundheitszustand abhängt. KVH Journal 3/2020: 26-29. https://www.ebm-netzwerk.de/de/medien/pdf/ebm-3_20_kvh_journal_screening_aeltere.pdf

 

Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser
Mitglied des erweiterten Vorstands
des EbM-Netzwerks
Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen
Vorsitzender des EbM-Netzwerks

 

Erwiderung zum Kritikpunkt "Infektionssterblichkeit" als PDF