Es wird bemängelt, das EbM-Netzwerk sei nicht ausreichend auf die möglichen Spätfolgen einer COVID-19 Erkrankung eingegangen.
Manche Personen, die positiv auf SARS-CoV 2 getestet oder mit einer COVID-19 Diagnose im Krankenhaus behandelt wurden, berichten über längerfristige Beeinträchtigungen der Gesundheit, selbst wenn sie als geheilt gelten. Komplikationen betreffen die Funktion der Lungen, das Herz-Kreislaufsystem, das Nervensystem, oder es wird über eine allgemeine Müdigkeit und Kraftlosigkeit geklagt. Bisher fehlen zum Langzeitverlauf aussagekräftige Studien. Die Beobachtungszeiten sind naturgemäß noch kurz. Die bereits vorliegenden Publikationen haben überwiegend kleine und selektionierte Stichproben. Insbesondere fehlen meist Kontrollgruppen, um für einzelne Komplikationen und Beschwerden kausale Bezüge zu SARS-CoV-2/COVID-19 aufzeigen zu können.1
Die meisten der berichteten Beschwerden wie Müdigkeit oder Kurzatmigkeit sind unspezifisch und werden auch nach anderen Infektionskrankheiten beobachtet. Rekonvaleszenz nach Pneumonien oder anderen schweren Erkrankungen, die zur Behandlung auf einer Intensivstation führen, können mehrere Monate andauern.2, 3 Auch Riech- und Geschmacksveränderungen treten bei anderen Erkrankungen auf. Nicht selten bleiben solche Störungen unerkannt oder sie werden erst wahrgenommen, wenn danach gesucht und getestet wird.4
Üblicherweise werden solche länger anhaltenden Einschränkungen der Lebensqualität nach schweren Erkrankungen nicht mit einer so hohen Medienwirksamkeit berichtet wie aktuell für SARS-CoV-2/COVID-19. Es ist daher zu vermuten, dass es einen relevanten Wahrnehmungs- und Diagnosebias bei COVID-19 gibt.
Einzelfallbeobachtungen oder Berichte ohne Vergleichsgruppen können helfen Hypothesen zu generieren. Um das tatsächliche Ausmaß an Langzeitbeschwerden und -komplikationen zu erfassen, und um zu beurteilen, inwieweit sie spezifisch für SARS-CoV-2/COVID-19 sind, braucht es gut geplante Kohorten- und vergleichende Studien.
Referenzen
Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Mitglied des erweiterten Vorstands des EbM-Netzwerks |
Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen Vorsitzender des EbM-Netzwerks |
Erwiderung zum Kritikpunkt "Spätfolgen" als PDF