Bericht vom EbM-Kongress 2020 in Basel online

Wie können Patientinnen und Patienten noch mehr an klinischer Forschung mitwirken? Und welche Fragestellungen müssen Studien untersuchen, damit eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung möglich wird? Mit diesen und weiteren Fragen rund um das Thema „Nützliche patientenrelevante Evidenz“ beschäftigten sich die Veranstaltungen auf dem diesjährigen EbM-Kongress am Universitätsspital Basel. Lesen Sie den Kongressbericht von Iris Hinneburg.

Wie wird Evidenz patientenrelevanter und nützlicher?

Bericht* von der 21. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin von Dr. Iris Hinneburg

Wer sich mit evidenzbasierter Gesundheitsversorgung beschäftigt, ertrinkt geradezu in einer Flut von Veröffentlichungen. Und doch gibt es häufig für die brennendsten Fragen keine gesicherten Antworten – unter anderem weil die Fragestellungen von vielen Studien nicht praxisrelevant sind und die Forschung oft an den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten vorbei geht. Was ist nötig, damit Evidenz entsteht, die in der Versorgung nützt? Darüber diskutierten rund 370 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim diesjährigen EbM-Kongress. Die Keynotes widmeten sich dabei jeweils verschiedenen Facetten des Kongress-Themas.

Wie Forschung nützlicher wird
Shaun Treweek von der Universität Aberdeen, Mitbegründer der „Trial Forge“-Initiative, stellte in seinem Vortrag wichtige Prinzipien vor, mit denen Forschende sicherstellen können, dass sich ihre Untersuchungen relevanten Fragestellungen widmen. Dazu gehört es, sich etwa in Leitlinien vorab über Evidenzlücken zu informieren, den bisherigen Forschungsstand in einem systematischen Review zusammenzufassen und neue Studien gezielt daran auszurichten. Auch der Forschungsprozess selbst gehört auf den Prüfstand: Wie lassen sich etwa am besten Patient*innen für die Teilnahme an einer Studie gewinnen? Um mit Studien auch solche Meta-Informationen generieren zu können, wurden "Studies within a trial (SWAT)" entworfen. Dabei vergleichen innerhalb einer klinischen Studie randomisierte Experimente verschiedene Vorgehensweisen bei der Studiendurchführung.

Netzwerk für relevantere Forschung
Hans Lund von der Universität Bergen beleuchtete in seiner Keynote näher das Problem von Forschung, die den Kontext bisheriger Studien nicht berücksichtigt. Dann werden zu viele redundante Untersuchungen durchgeführt, was Zeit, Geld und Ressourcen verschwendet. Auch erhalten in der Folge zu viele Patienten unnötig eine Behandlung mit Placebo oder suboptimalen Therapien, was die Gesundheit und im schlimmsten Fall sogar Leben gefährdet. Studien müssen deshalb nicht nur methodisch valide sein, sondern auch einen Mehrwert für die Gesundheitsversorgung bieten. Um diese Situation zu verbessern, hat sich das Evidence-Based Research Network gegründet. Es erstellt unter anderem Hilfestellungen für andere Forschende, um Forschungsmüll zu vermeiden.

Patient*innen einbeziehen
Richard Morley, Consumer Engagement Officer bei Cochrane, berichtete über die vielfältigen Möglichkeiten, wie sich Patient*innen und Verbraucher*innen bei Cochrane einbringen können: etwa als Reviewer für Cochrane Reviews, bei der Erstellung von Plain Language Summaries sowie bei Übersetzungen. Diese Möglichkeit nutzen inzwischen mehr als 1600 Freiwillige in rund 80 Ländern. Das ist besonders deshalb wichtig, weil ihre Prioritäten oft ganz andere sind als die der Gesundheitsberufe. Über Cochrane hinaus hat sich zur globalen Vernetzung von ähnlichen Initiativen 2017 das International Network for Public Involvement and Engagement in Health and Social Care Research gegründet.

Neue Konzepte für Studien
Dass methodisch hochwertige Studien nicht an einem hohen Ressourcenbedarf scheitern müssen, zeigt das Konzept „Trials within cohorts (TwiCs)“, das Lenny Verkooijen von der Universität Utrecht vorstellte. Dort werden bei der Versorgung von Krebspatienten die besten beider Welten kombiniert: randomisierte klinische Studien und Beobachtungsstudien. Dabei können Teilnehmende in einer Kohortenstudie zusätzlich zur untersuchten Exposition zufällig, also randomisiert, für weitere Behandlungen ausgewählt werden. Die restlichen Teilnehmenden bilden dann automatisch die Kontrollgruppe. So lassen sich die Vorteile von randomisierten kontrollierten Studien nutzen und gleichzeitig Limitationen überwinden, etwa bei der Gewinnung von Teilnehmenden.

Vielfältige Angebote
Das Hauptthema des Kongresses und andere EbM-relevante Fragestellungen wurden in weiteren Vorträgen, Symposien und Workshops diskutiert. Trainingsworkshops vertieften die Förderung von Patientenbeteiligung an klinischer Forschung sowie verschiedene methodische Aspekte. Das ZEFQ-Symposium widmete sich in diesem Jahr dem Thema „Patientensicherheit und Digitalisierung“ und reflektierte kritisch Chancen und Risiken von elektronischen Verordnungssystemen. Studierende aller Gesundheitsberufe konnten im Vorprogramm den interprofessionellen Studierendentag nutzen, um sich mit den Grundlagen der evidenzbasierten Medizin, Literaturrecherche, Evidenzbewertung, gemeinsamer Entscheidungsfindung und Interessenkonflikten auseinander zu setzen.

Preise und Ehrungen
Mit dem David-Sackett-Preis wurde eine Arbeitsgruppe um den Allgemeinmediziner Jochen Gensichen von der Ludwig-Maximilians-Universität München geehrt. Die Studiengruppe hat ein Programm zur Behandlung von Panikstörungen in der hausärztlichen Praxis entwickelt und dessen Nutzen in einer begleitenden Evaluation analysiert. Die Begleitforschung untersuchte außerdem die gesundheitsökonomischen Auswirkungen sowie die Implementierung des Programms in den Versorgungsalltag.
Der Journalistenpreis des EbM-Netzwerks wurde an Martina Keller verliehen, die sich als freie Journalistin in einem Hörfunkbeitrag für WDR 5 mit dem Thema „Übertherapie am Lebensende“ beschäftigt hat. Die Laudatio hob hervor, dass der Beitrag das Kernanliegen der evidenzbasierten Medizin in besonderer Weise aufgreift: Die Verbindung der bestverfügbaren Evidenz aus Studien mit den persönlichen Wünschen individueller Patient*innen.

Netzwerk für alle deutschsprachigen Länder
In diesem Jahr fand der Kongress zum ersten Mal in der Schweiz statt. Den Anlass nutzten Mitglieder mit Lebens- und/oder Arbeitsmittelpunkt in der Schweiz zur Gründung einer eigenen Sektion im EbM-Netzwerk. Auch in diesem Jahr profitierten viele Veranstaltungen davon, dass Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre jeweiligen Perspektiven einbrachten sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Umsetzung von EbM in den verschiedenen Ländern diskutieren konnten.

Ausblick 2021
Der nächste EbM-Kongress wird wieder in Berlin stattfinden. Vom 24. bis 26. Februar (Achtung: Mittwoch bis Freitag!) stehen die Veranstaltungen unter dem Schwerpunktthema „Who cares? EbM und Transformation im Gesundheitswesen“. Thematisch geht es unter anderem um die vielfältigen Herausforderungen, vor denen das Gesundheitswesen derzeit steht, sowie die Lektionen aus der Corona-Pandemie. Ebenso sollen die laufenden Transformationsprozesse in den verschiedenen Gesundheitsbereichen aus der Perspektive der evidenzbasierten Medizin analysiert werden.

*Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Qualitas

 

 

 

Nur einen Moment..
Wird geladen