Weichen anders stellen für ein unabhängiges, evidenzbasiertes Nationales Gesundheitsportal

Die Umsetzung eines Nationalen Gesundheitsportals als zentrale Informationsplattform für Bürger*innen und Patient*innen ist seit langem überfällig. Der kürzlich publik gewordene Vorstoß des Bundesministeriums für Gesundheit bedroht jedoch die Bemühungen um unabhängige evidenzbasierte Gesundheitsinformationen, die informierte Entscheidungen ermöglichen. Jetzt gilt es, die Weichen so umzustellen, dass sich das Nationale Gesundheitsportal in die richtige Richtung bewegen kann.

Seit vielen Jahren wird die Idee eines Nationalen Gesundheitsportals als zentrale Informationsplattform diskutiert. Die Umsetzung stagnierte lange Zeit. Zuletzt hatte sich die Allianz für Gesundheitskompetenz (1) dafür ausgesprochen, der Sachverständigenrat Gesundheit die Einrichtung eines solchen Portals im Gutachten 2018 nachdrücklich empfohlen (2) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ein umfangreiches Konzeptpapier vorgelegt, in das Kommentare vieler relevanter Akteure im Bereich der evidenzbasierten Gesundheitsinformationen eingeflossen sind. Wesentliche Aspekte des Konzeptpapiers umfassen unter anderem die Aufbereitung der Inhalte in der Art und Weise, dass sie informierte Entscheidungen ermöglichen, eine Qualitätssicherung nach wissenschaftlichen Grundsätzen, eine Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzer*innen sowie nicht zuletzt politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit (3).

Die Entscheidung, bei welchem Träger das Portal verankert sein würde, lag seit Veröffentlichung des IQWiG-Konzepts beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG).  Das BMG hat sich nun offensichtlich entschieden, wesentliche Aspekte des Konzepts nicht umzusetzen und das Portal im eigenen Hause zu verankern (4). Die Stellenausschreibung für die Referatsleitung (5) formuliert vage „Erfahrung bzgl. evidenzbasierter Patientenorientierung und Förderung von Gesundheitskompetenz“ als Anforderung, nicht jedoch Kenntnisse bzw. Erfahrung in der Erstellung von Gesundheitsinformationen, die Patient*innen informierte individuelle Entscheidungen ermöglichen – obwohl die Ausarbeitung redaktioneller Themen und Inhalte zu den genannten Aufgabengebieten gehören. Stattdessen wird „Gespür für politische Vorgänge und Abläufe“ gefordert.

Auf der Basis dieser Anforderungen ist es für uns nicht ersichtlich, wie das BMG die Expertise aufbauen könnte, umfassende Gesundheitsinformationen bereitzustellen, die auf bester Evidenz fußen und anhand der Kriterien zur Erstellung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen konzipiert sind. Das BMG hat naturgemäß eine politische Agenda, die im Hause vertretenen Positionen beruhten bisher oft nicht auf einer Abwägung der besten verfügbaren Evidenz bzw. sind nicht nachdrücklich darauf ausgerichtet, informierte Entscheidungen zu ermöglichen. Gleiches gilt für die nachgeordneten Behörden, die Medienberichten zufolge offenbar in die Entwicklung des Nationalen Gesundheitsportals eingebunden werden sollen (6). Die bei diesen Behörden vorhandenen Informationen umfassen derzeit nur einige ausgewählte Themenbereiche und erfüllen unserer Einschätzung nach weitgehend nicht die Kriterien evidenzbasierter Gesundheitsinformationen.

Politische Steuerung statt informierter Entscheidungen

Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM Netzwerk) missbilligt diese Entwicklung ausdrücklich und ruft das BMG dazu auf, beim Stellen der Weichen nachzusteuern. Es wäre zutiefst bedauerlich, wenn die Chance auf unabhängige und ausgewogene Gesundheitsinformationen vertan würde. Die bisher eingeschlagene Richtung verhindert unserer Einschätzung nach, dass es in Deutschland unabhängige, nicht Interessen-geleitete Informationen für die Bürger*innen und Verbraucher*innen im Gesundheitswesen geben wird.

Gleichzeitig könnte diese Richtung „zensierte“ Informationen und eine politisch motivierte Steuerung der Bürger*innen begünstigen, die den Initiativen der jüngeren Vergangenheit wie dem Patientenrechtegesetz und der Allianz für Gesundheitskompetenz eindeutig zuwiderlaufen würden. Wir nehmen mit Besorgnis wahr, dass sich die Entwicklung in Sachen Nationales Gesundheitsportal in andere Bestrebungen des Ministeriums einreiht, Möglichkeiten zur Einflussnahme und Entscheidungsmandate bei sich zu bündeln. Wir rufen das BMG daher dazu auf, am demokratischen Diskurs festzuhalten und die Expertise etablierter Akteure zu nutzen.   

Ausrichtung an Standards

Wir mahnen nachdrücklich an, das Nationale Gesundheitsportal zu einer international herausragenden Plattform zu entwickeln, das unabhängige, objektive, wissenschaftsfundierte, entscheidungsrelevante, umfassende und aktuelle Gesundheitsinformationen für alle Bürger*innen in Deutschland bereitstellt. Falls das BMG nicht nur vorläufig, sondern dauerhaft als Träger für das Nationale Gesundheitsportal agieren will, halten wir die Einrichtung eines unabhängigen wissenschaftlichen Beirats für dringend geboten, der bei der Ausgestaltung des Portals Mitspracherecht hat.

Außerdem erachten wir es für unabdingbar, dass die Inhalte des Portals internationale Standards einhalten, wie sie etwa in der Guten Praxis Gesundheitsinformation (7) bzw. der Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation (8) vorliegen. Für eine Beratung in diesen Fragen steht das EbM-Netzwerk gerne zur Verfügung. 

 

 

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